Beispiel: Im Auto

Beispiel 3 (per whatsapp)

Bettina Zydatiß an die Sportkameradin: (18. Oktober 2019)

Liebe A., unter der Dusche hatte ich gerade eine Idee. Ich würde dir gerne mal zeigen, wie ich Kindern helfe, sich selbst zu regulieren ohne sie anzuweisen, zu ermahnen und zu bewerten.

Wenn du möchtest kann M. mal zu einem kostenlosen Spieltermin kommen. Solltet ihr heute Nachmittag noch nichts vorhaben, ginge das so kurzfristig, sonst an einem anderen Tag. Wir beide würden vorher besprechen, wie du ihm das anbietest bzw. was du ihm vorher sagst. Gruß Bettina

Sportkameradin:

Liebe Bettina, ich freue mich über Dein Angebot! Wir haben nachmittags noch nichts vor. Wann wäre eine gute Zeit? Ich bezahle das aber auch gern. Alles, was ihm hilft, ist willkommen! LG, A.

Kommentar:

Nach dem Spieltermin von ca. 2 Stunden mit dem 7-jährigen Erstklässler sagt mir die Mutter, dass sie ihren Sohn noch nie (!) für so lange Zeit so konzentriert und engagiert erlebt hätte. Bei dem Jungen wurde ärztlicherseits Hyperaktivität diagnostiziert.

Die Sportkameradin ist sehr erstaunt, wie bereitwillig und interessiert ihr Sohn bei den von mir angebotenen Aktivitäten mitgemacht hat und glaubt, dass M. diese ’schulrelevanten‘ Dinge helfen werden besser zurecht zu kommen. Mit den Eltern zeigt er Widerstände bei den Hausaufgaben.

Bettina Zydatiß an die Sportkameradin: (15. November 2019)

Mir ist noch etwas eingefallen zu dem, was du heute morgen gesagt hast zu M.s Ungeschicklichkeit.

Ich finde, wenn du ihm sagst, dass du erst losfährst, wenn er angeschnallt ist, dann stellst du Bedingungen (wenn-dann). Vermutlich willst du, dass er das lernt. Ich glaube, dass das am besten gehen wird, wenn er selber es auch lernen will und selbstständig sein und nicht, wenn er unter Druck und auf dem Prüfstand ist. Ob er sich wirklich damit schwer tut oder sich nur ‚dumm anstellt‘ und bockig ist, wird sich dann schwer unterscheiden lassen. Wenn er sagt, ‚Ich kann das nicht‘, dann klingt mir das danach. Dass er angeschnallt sein sollte ist natürlich keine Frage. Du könntest auch wohlwollend sagen: „Ich mache das mal für dich.“ oder „Ich zeig dir noch mal wie das geht.“
Aus meiner Sicht bringt ‚zwingen‘ gar nichts, wenn es um’s Lernen geht.

Sportkameradin:

Guten Morgen Bettina, Danke für Deine Gedanken…ich habe es in der Situation 3x gezeigt, war ihm behilflich und habe den Gurt langgezogen … er hat mehrmals versucht, das Metall reinzuklicken…es hat nicht geklappt.

Und bisher habe ich ihm immer Hilfestellung gegeben … ich glaube, dass ich da eher einer Norm auf den Leim gehe: „Ein Schulkind muss das und das können …“. Er ist bei motorischen Dingen ca. 2 Jahre zurück und benötigt Hilfe zur Selbsthilfe … aber die Frage ist auch, wann es besser ist, ihn Dinge allein machen zu lassen … ihm etwas zuzutrauen … ich werde in Zukunft ihn immer mehr Sachen allein machen lassen und unterstreichen, dass es schwierig ist … was du gesagt hast … Bedingungen habe ich noch nie gestellt und ihn auch nicht gezwungen … aber ich bin manchmal echt genervt … auch weil ich als Kind so einfach und autonom war …

Bettina Zydatiß:

Ich glaube auch, dass es ein wichtiger Aspekt ist, dass M. in manchen Dingen seinem Alter hinterher ist und es ihm deswegen nicht hilft, wenn er sich überfordert und dumm fühlt. Es wird Situationen geben, in denen er Zeit hätte etwas zu lernen und es wird andere Situationen geben, die sich nicht eignen, weil z.B. die Zeit davonläuft. 10 Minuten zu warten und er schafft es nicht, sich anzuschnallen, würde auch bei anderen Menschen an den Nerven zerren.

Ich meine, es gibt zwei Möglichkeiten:

  1. Du machst das einfach für ihn und stellst den erzieherischen Aspekt hintenan bis er soweit ist und sich geeignete Situationen finden.
  2. Du nimmst dir die Zeit und begleitest ihn mit beschreibenden Worten bei seinen Bemühungen. „Jetzt versuchst du die Schnalle hineinzustecken.“ „Jetzt ist sie dir weggerutscht.“ … Du sagst dabei nicht: „Das ist schwierig.“ (Bewertung) sondern: „Du findest das schwierig.“ (Aktiv Zuhören). Und bei Erfolg nicht „Toll!“ sondern beschreibend mit erfreutem Gesicht und entsprechendem Tonfall: „Ah, jetzt hat es geklappt.“ oder: „Jetzt ist die Schnalle drin.“ (Kriterien)

Gerade weil er schon viele Situationen hatte, in denen ihm etwas nicht gelingt und er entsprechend entmutigt ist, glaube ich, dass es ihm nicht helfen wird, ihn einfach alleine machen zu lassen. Ich meine, er braucht deine Aufmerksamkeit und deine beschreibenden (nicht wertenden) Worte, damit er das hinkriegt.

Meiner Ansicht nach hat M. nur wegen meiner beschreibenden Begleitung und der damit verbundenen Aufmerksamkeit, so lange bei mir durchgehalten und war mit seinem Tun zufrieden.

Sportkameradin:

Vielen lieben Dank Bettina! Ich werde versuchen, das alles zu beherzigen.
Es klingt wirklich plausibel…..

Darf ich H. deine Nummer geben, damit Ihr einen Termin vereinbaren könnt?
H. ist da ebenfalls offen und interessiert.

Ich bin sehr froh, dass ich dich getroffen habe … auch wenn mein Widerstand anfänglich groß war.